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Runder-Tisch-Kiel - Demo gegen Antisemitismus in Heikendorf

Beitrag des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus Kiel

Liebe Freund*innen, liebe Kolleg*innen, liebe Menschen in Heikendorf,

eine Frau, eine Nachbarin, eine Freundin wird angegriffen und soll ihr Zuhause verlieren, weil sie an ihrer Wohnungstür einen Davidstern angebracht hat.

Irre, oder? Könnte man meinen. Aber Realität in Deutschland, einem Land, in dem der Antisemitismus immer noch verbreitet ist und von interessierten Kreisen weiterhin gepflegt wird.
Dem treten wir entgegen. Heute und immer, hier und überall. - Ich spreche für den Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel. Für ein Bündnis von Menschen mit verschiedenen Mutterländern, unterschiedlicher Weltanschauung und Organisationszugehörigkeit.
Lasst mich aus gegebenem Anlass dieses betonen:
Wer aus seinem Glauben, welcher es auch sein möge, die Kraft zum Widerstand gegen menschenfeindliche Politik, gegen Rassismus und Faschismus schöpft, ist bei uns ebenso willkommen und wird überall im gesellschaftlichen Leben ebenso dringend gebraucht wie Menschen ohne religiöses Bekenntnis, für die der Mensch selbst das höchste Wesen ist und die aus diesem Grund alle Verhältnisse umwerfen wollen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Wir erstreben eine Gesellschaft, in der Rassismus und Faschismus keinen Nährboden mehr finden. Wir werden sie nur erreichen, wenn alle, die dieses Ziel teilen, im Kampf dafür solidarisch zusammenstehen.

Liebe angegriffene Freundin, wir sind in dieser Sache vorbehaltlos solidarisch mit dir.

Wir fordern die Rücknahme der Kündigung und Schutz vor weiteren Angriffen. Die politisch Verantwortlichen vor Ort müssen sich unmissverständlich entsprechend positionieren. Niemand, der die absurden Vorwürfe kennt, mit denen der Vermieter gegen dich zu Felde gezogen ist, kann seiner Schutzbehauptung glauben, hier ginge es ausschließlich um mietrechtliche Meinungsverschiedenheiten, mag er diese Darstellung auch noch so oft über die Medien verbreiten lassen.

Ebenso solidarisch sind wir mit Ihnen, lieber Herr Pastor Thieme-Hachmann, da Ihnen nun der Mund verboten werden soll, nachdem sie den Skandal öffentlich bekanntgemacht und angeprangert haben. Dafür, dass sie dies getan haben, danken wir ihnen ganz herzlich.

Liebe Mitstreiter*innen, wir dürfen und werden niemals akzeptieren, dass Menschen in Deutschland angegriffen werden, weil sie sich öffentlich zu ihrem jüdischen Glauben bekennen. Für solche Angriffe gibt es niemals und nirgends irgendeine Rechtfertigung.

Aus eigener Erfahrung mit faschistischen Angriffen und in Kenntnis ebensolcher Erfahrungen anderer Menschen darf ich auch dies sagen: Angesichts solcher Angriffe hilft kein Zurückweichen. Das ist kein Plädoyer für den Verzicht auf Wachsamkeit und Vorsicht. Es ist ein Plädoyer für die Inanspruchnahme von Hilfen, wie sie ZEBRA und LIDA anbieten, und für die Organisierung mit Gleichgesinnten. - Die Entscheidung darüber kann den Betroffenen natürlich niemand abnehmen.

Liebe Freundin, ich bin und wir alle sind jedenfalls beeindruckt und froh über die Entscheidung, die du getroffen hast und die uns heute hier zusammenführt. Auch darüber, dass du das, was dir widerfährt, in Zusammenhang stellst mit weiteren Aktivitäten rechter und faschistischer Kreise in Heikendorf, gegen die wir nun ebenfalls und nicht zum ersten Mal gemeinsam auf die Straße gehen.

Heute sind nicht alle hier, die du gern hier gesehen hättest – der Antisemitismusbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein hat auf unverschämte Weise eine Teilnahme an dieser Demonstration abgelehnt. Wer hat eigentlich geglaubt, dass er der Richtige für dieses Amt wäre? - Mehr will ich zu diesem Thema nicht sagen.

Liebe Freund*innen, liebe Kolleg*innen, wir stehen auf gegen jede Form von Rassismus. Und dabei stellen wir immer wieder fest: Es gibt Politiker*innen, die sich als Freund*innen jüdischer Menschen aufspielen und dabei einer anderen Form des Rassismus das Wort reden, nämlich dem gegen Menschen muslimischen Glaubens und Menschen aus überwiegend von Muslim*innen bewohnten Ländern gerichteten Rassismus. Diesem sind schon viele Menschen in diesem Land zum Opfer gefallen.

Es gibt Leute, die ausgerechnet in Deutschland den Antisemitismus als hauptsächlich importiertes Problem darstellen und besonders gern Jugendliche aus „arabischen Ländern“ als Träger dieser Ideologie benennen. Solche  Darstellungen gipfeln häufig in der Forderung nach weiterer Verschärfung des Asylrechts. Anhänger dieser Forderung finden sich besonders, aber nicht nur in der Faschistenpartei AfD.

Ich bitte euch: Stellen wir uns gemeinsam auch diesen Menschenfeinden entgegen. Wer die von Rassismus betroffenen Menschen gegeneinander auszuspielen versucht, ist unser gemeinsamer Feind.

Wir fordern eine Beseitigung aller Asylrechtsbeschränkungen und darüber hinaus die Einrichtung sicherer Fluchtwege für alle Menschen in Not – „Seebrücke statt Seehofer“ ist auch unsere Losung, aktuell gilt das sinngemäß als „Luftbrücke jetzt!“ auch für alle Menschen, die aus Afghanistan zu fliehen versuchen, wobei wir selbstverständlich jede militärische Intervention ablehnen.

In den bis zur Bundestagswahl verbleibenden Wochen ist überall in SH mit dem öffentlichen Auftreten organisierter Nazis und Rassist*innen zu rechnen. „Aufstehen gegen Rassismus“ ist eine hochaktuelle Losung. Wir dürfen den Antisemit*innen, Rassist*innen und allen anderen Nazis nirgendwo Raum für ihre Auftritte gewähren.

In diesem Sinne! Danke für die Aufmerksamkeit – wir seh’n uns wieder!

Beitrag der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Heikendorf

Liebe Freunde!
I
Vielen Dank, das so viele Menschen gezeigt haben, dass ihr gezeigt habt:
Heikendorf ist kein Nazidorf.

Und ich bin überzeugt: Heikendorf wird auch kein Nazidorf werden. Weil es in Heikendorf und Umgebung - und es ist egal, ob sie nun aus Heikendorf, oder Kiel oder einem der Nachbarorte kommen - weil es viele engagierte Menschen gibt, die aufmerksam und wachsam sind, sowohl im Stillen als auch öffentlich sichtbar und hörbar.

Wir Heikendorfer danken Euch aus Kiel und Plön und Schönkirchen usw., dass ihr uns an diesem Tage unterstützt.
Ich danke euch auch für eure Unterstützung und Solidarität für mich persönlich.

Uns als Kirchengemeinde ist in den Tagen zuvor der Vorwurf gemacht worden: wie kann der Pastor nur die Chaoten, die autonome Antifa in unseren schönen Ort holen?

Seht ihr, es ist nichts passiert.  Wir lassen uns im Bündnis, das diese Demonstration trägt, nicht auseinander bringen.

Denn: wir teilen das gleiche Ziel.

Deshalb noch einmal: Vielen Dank für Euer Hiersein.!

II
Unsere Demonstration heißt „Davidsterne für Heikendorf“, weil wir mit dem Engagement gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus ein sichtbares Zeichen setzen wollen, wofür wir sind:
Dafür, dass jüdisches Leben einen selbstverständlichen Platz in Deutschland hat, auch in kleinen Orten wie Heikendorf abseits der Metropolen.

Dafür, dass unsere Gesellschaft, auch in kleineren Orten wie Heikendorf, Platz hat für Vielfalt: für Menschen unterschiedlicher Herkunft, Lebensweisen, Einstellungen, Weltanschauungen und Orientierungen.
Dafür, dass Menschen hier so leben können, wie sie es wollen, ohne sich dafür erklären zu müssen. Ohne ausgegrenzt zu werden.

III
Weswegen wir hier sind, ist leider ein Thema in Heikendorf.

Dennoch bin ich überzeugt: Heikendorf könnte überall liegen.

Hier ist Thema geworden, was auch anderswo der Fall sein könnte. Was sozusagen in jedem von uns bereit liegt und aktiviert werden könnte.

Wir demonstrieren heute nicht gegen einzelne Menschen, sondern mit fordern dazu auf, dass jede und jeder Mensch sich überprüft, wo er oder sie ausgrenzende, diskriminierende Muster in sich wahrnimmt, die nur darauf warten geweckt zu werden.

Ich bin kein Antisemit! sagt jemand, um dann fortzufahren: aber muss das mit den Juden immer wieder zum Thema gemacht werden.

Ich bin kein Rassist! sagt jemand. Um dann im nächsten Atemzug asich über die vielem Moslems zu beklagen.

Wenn aufgeklärte und liberale oder sogar linke Menschen die Politik des Staates Israel kritisieren, dann müssen sie aufpassen, dass sie nicht antisemtische oder antizionistische Klischees bedienen.

Es ist auch ausgrenzend oder diskriminierend, wenn es heißt: die Heikendorfer sind rechts oder völkisch oder antisemitisch.

Nein, das ist nicht so. Und diese Demonstration zeigt es. Heikendorf hat eine aktive Zivilgesellschaft mit vielen aktiven und wachsamen Bürger*innen.

Der Tag heute, diese Demonstration ist nur ein Anfang. Es zählen die Tage , die kommen. Ich habe es vorhin schon dem Bürgermeister gesagt: die Erklärung der Heikendorfer Gemeindevertreter*innen ist ein guter Anfang. Diesem Anfang müssen aber Taten folgen.

Z. B. der Aufbau eines Netzwerkes, einer Unterstützung für Menschen, die sich antisemitisch bedrängt, rassistisch diskriminiert oder auf andere Weise ausgegrenzt fühlen.

Dieser Tag heute ist nur der Anfang. Es zählen die Tage, die kommen.

Ich habe mit Walter Joshua Pannbacker verabredet, dass wir hier eine Veranstaltungsreihe ins Leben rufen werden, die aufklärt und informiert über jüdisches Leben in Deutschland und Menschen miteinander ins Gespräch bringt.

Zur Wachsamkeit und Aufmerksamkeit gehört, dass wir hingucken, wo es unserem Selbstbild, wir seien ja so ein liberaler Ort, weh tut.

Es hieß ja unter anderem. diese Demonstration richte sich gegen etwas, was es in Heikendorf gar nicht gibt.

Doch: im Internet gibt es durchaus Stimmen, die auf aggressive Art andere Menschen diskriminieren und ausgrenzen - das geschieht sogar zwischen Heikendorfern, die sich auf den Straßen und in den Geschäften teufen und anblicken.

Ich fordere dazu auf, dass wir achtsam werden für Muster der Ausgrenzung in Gegenwart und Vergangenheit.

Dazu gehört auch ein neuer Anlauf in Sachen Erinnerungskultur.

Das Schicksal von Hedwig Lunczer, der Jüdin, die sich in der Nacht vor ihrer Deportation erhängt hat, lässt uns fragen, ob es nicht auch Zeit wäre für einen Stolperstein in Heikendorf. Das ist etwas anderes, schmerzhafter und konkreter, als der gewiss wichtige und richtige Gedenkstein für die Opfer der NS-Herrschaft, dessen Inschrift freilich sehr allgemein gehalten ist und der auch etwas abseits liegt.

Es gibt ein kommunales Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege auf kirchlichem Grund, das kaum zu ertragen ist und dringend neu gestaltet werden müsste.

Hermann Riecken war von 1933 -39 Bürgermeister in Heikendorf und danach in der Verwaltung des Reichskommisariates Ostland tätig, die an der Verschleppung und Ermordung zahlloser Zwangsarbeiter, Jüd*innen und anderer Menschen beteiligt war.

Er profitierte von der Entschuldungspolitik der schleswig-holsteinischen Nachkriegsregierungen, die vielen Tätern und Mitläufern eine neue Karriere ermöglicht.

Sein Bild hängt in der Ahnengalerie der Heikendorfer Bürgermeister im Rathaus. Es darf und soll da hängen bleiben, aber es darf nicht unkommentiert bleiben.

Und wenn man noch weiter machte, würde es vielleicht auch für heutige Heikendorfer noch schmerzhafter …
Bei diesem neuen Impuls in Sachen Erinnerungskultur geht es nicht bloß um die Vergangenheit oder um ein neues Hobby für einige, interessierte ältere Herrschaften.

Diese Erinnerungsarbeit kann uns auch nicht immunisieren gegen die Versuchungen der Gegenwart.

Aber sie kann uns helfen, wachsam und aufmerksam zu sein für Antisemitismus und Diskriminierung im Alltag.

Damit wahr bleibt, was wir heute sagen:
Heikendorf ist kein Nazidorf. Heikendorf ist nicht rechtsextrem. Die Zukunft Heikendorfs ist bunt. Heikendorf grenzt Menschen nicht aus.

Heikendorf ist offen für jüdisches Leben und für Menschen diverser Prägungen, Herkunft, Weltanschauungen und Orientierung.

Morgen abend beginnt das jüdische Neujahrsfest, Rosch Haschana. Einer der Segenswünsche diese Festes lautet: „Mögen die Verwünschungen des vergangenen Jahres enden und der Segen des neuen Jahres ansetzen.“

Das ist mein Wunsch für euch und für alle Menschen, die in Heikendorf leben.
Vielen Dank!

Beitrag der Partei Die Linke Kreisverband Plön

Ich bin Gabi Gschwind-Wiese von den Linken im Kreis Plön.

Wir Linken unterstützen die heutige Demo und solidarisieren uns mit den Menschen, die sich hier vor Ort an die Seite einer jüdischen Person stellen, der man übel mitspielt.

Jüdische Mitmenschen sind in ihrem Lebensalltag immer wieder Ziel von Hetze, Häme und Boshaftigkeiten. Das ist beschämend und es ist auch beschämend, dass es nach wie vor eher die Regel ist, dass Politik und Gesellschaft vor Ort auf solche Vorfälle mit Distanz und behäbiger Zurückhaltung reagieren.

Was den Opfern hilft, sind Zivilcourage, Anteilnahme und Solidarität. Umgehend. Sobald einem ein solcher Vorfall zu Ohren kommt.
Es ist doch so: Jede einzelne Person, die zur Zielscheibe solcher Angriffe wird, soll damit gekränkt, verunsichert und mindestens in ihrer Würde verletzt werden. Genau das ist Plan und Ziel solcher Taten.
Wenn sich das alles dann noch im Hausflur und vor bzw. an der Wohnungstür abspielt, die Wohnung aber das zu Hause eines Menschen ist, wo soll er sich dann noch sicher und geborgen fühlen?

Die Tragweite und Wirkung dieser im Großen und Ganzen kaum wahrgenommenen „Alltagsantisemitismen“ sind für die Betroffenen immens.
Sie haben durchwegs das Potenzial, Menschen das Leben schwer zu machen, sie aus der Gesellschaft hinauszudrängen und nicht selten zerstören sie Existenzen. So lange wir aber nicht hinsehen, bleibt all das im Dunkelfeld. Das muss aufhören. „Alltagsantisemitismus“ gehört in jedem Einzelfall ans Tageslicht gezerrt!

Dafür müssen wir viel, viel aufmerksamer werden und uns viel, viel schneller und aktiver einmischen. Wir müssen als Gesellschaft dahin kommen, dass so ein Vorfall ohne lange Verzögerung alle verantwortlichen, engagierten Menschen einer Gemeinde, ob aus Politik oder Gesellschaft auf den Plan ruft und sie der Sache nachgehen, den betroffenen Menschen zuhören und sich ihnen direkt zur Seite stellen.
Denn entweder stellt man sich in diesen Fällen auf die Seite der Opfer, oder man steht auf der Seite der Täter. Es gibt da keinen neutralen Platz, man kann sich in so einer Sache niemals nicht verhalten.

Die Demo trägt den Titel „Davidsterne für Heikendorf“ – einen dieser Sterne hat die Gemeinde jetzt verloren und der Person, die ihn mit sich fortträgt, ist nur zu wünschen, dass sie an einem anderen, neuen Ort ein gutes Zuhause in guter, offener und freundlicher Nachbarschaft finden möge.
Für Heikendorf aber ist jetzt ein Thema gesetzt und es sollte nun zu einem guten, konstruktiven Austausch darüber kommen, wie’s künftig laufen soll, wenn es einen Menschen im Ort gibt, der angefeindet wird, weil er anders glaubt, oder anders lebt, oder anders liebt.
Dafür ist Ihnen und Euch vor Ort nur maximaler Erfolg zu wünschen!

Dankeschön!

 

Redebeitrag des Antisemitismus-Beauftragten des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein K.d.ö.R., Walter J. Pannbacker

2021 ist das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Eigentlich sollten wir alle hier gar nicht stehen müssen.
Sind 1700 Jahre denn wirklich immer noch nicht lange genug, als dass wir Juden „ganz nomal“ dazu gehören?

Vor 1700 Jahren gab es noch kein Deutschland und keine Deutschen – aber Juden lebten schon hier, arbeiteten, beteten. Es gab in dem Gebiet, was heute Deutschland heißt schon Synagogen, bevor es Kirchen gab.

Im Rahmen vieler Veranstaltungen zum Festjahr bin ich gefragt worden: wie sieht das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland eigentlich aus? - Eine gute Frage.

Wenn niemand weiß, dass man jüdisch ist, dann kann man hier sicherlich ganz normal leben. Gut, man benötigt etwas Übung darin, die eine oder andere antisemitische Äußerung im Umfeld zu überhören – man will sich ja nicht ständig ärgern.
Irgendwann ist man es auch leid, bei jedem Vorfall die Stimme zu erheben, denn wenn man auf Antisemitismus hinweist, bekommt man oft die empörte Antwort: „Ich bin doch kein Antisemit!“

Niemand möchte Antisemit sein, auch wenn er oder sie sich antisemitisch äußert – vielleicht sogar, ohne es zu wissen.

Ich könnte es mir jetzt sehr leicht machen und sagen: „Heikendorf ist eben so, da kann man nichts machen.“ Das möchte ich aber nicht.

Ich glaube nicht, dass dieser ganze Ort antisemitisch oder fremdenfeindlich eingestellt ist – sonst würden wir hier ja nicht gemeinsam stehen.

Trotzdem hat eine jüdische Familie in Heikendorf Antisemitismus erlebt und sogar ihr Zuhause verloren. „Nur ein Nachbarschaftsstreit“, sagen manche – aber warum wurden dann ausgerechnet das Judentum und seine Symbole zum Thema?

Ich habe mich auch schon mal mit Nachbarn gestritten – darüber, ob die Musik zu laut war, ob wirklich jedes Wochenende Party sein muss oder ob die Hecke zu weit in die Auffahrt gewachsen ist. Nie hat die Religion, Nationalität oder Tradition dabei eine Rolle gespielt, weder meine noch die der anderen – und meine Nachbarn sind Deutsche, Syrer, Kurden, Libanesen, Portugiesen, Kubaner; Christen, Muslime und Atheisten. Und sie wissen, dass wir eine jüdische Familie sind, aber es war nie ein Thema. Eigentlich wohnen wir gut zusammen, treffen uns ab und zu zum Klönschnack, auch mal zum Hof-Fest.

Was machen wir nun hier in Heikendorf? Wie soll es weitergehen?

Die ev.-luth. Kirchengemeinde war da und hat geholfen. Danke!

Der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus des Landes Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, war da und hat geholfen. Danke!

Das Bündnis gegen Antisemitismus Kiel und viele andere Akteure der Zivilgesellschaft waren da und haben geholfen. Danke!

Der Gemeinderat hat einstimmig eine Erklärung gegen Antisemitismus und für Vielfalt beschlossen. Danke!

Sie alle sind heute hier. Danke!

Aber was wollen wir tun, damit wir in Zukunft nicht immer wieder hier stehen müssen?

Nichts ist so schlecht, dass es nicht noch als Beispiel dafür dienen könnte, wie man es nicht machen sollte. Lassen Sie uns also gemeinsam etwas verbessern.
Wir sollten uns besser kennen lernen.
Wir sollten uns begegenen, Fragen stellen, gemeinsam lernen, miteinander reden, uns treffen, zusammen essen und trinken und unsere Unterschiede und Gemeinsamkeiten als spannend und bereichernd schätzen lernen.

Wir vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein sind dazu bereit.

Sie auch?

Beitrag der Föderation der Demokratischen Arbeitervereine

Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass soziale und ökonomische Ungleichheiten verstärkt wurden: Weltweit wurden die Armen noch ärmer und die Reichen vervielfachten ihr Vermögen. Die Verschärfung der Ungerechtigkeit ist aber nicht das Ergebnis des Virus, sondern des Systems und der Regierungen, die das Kapital bei jeder Gelegenheit schützen. Rassismus breitet sich weiter aus, verstärkt durch die kapitalistische Krise. Werktätige, Jugendliche und Frauen werden nach Religionszugehörigkeit, Sprache, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Herkunft etc. gespalten, gegeneinander ausgespielt und aufgehetzt. Das Erstarken von Rassismus hängt unmittelbar mit der sozialen Frage zusammen: mit der Zunahme von Existenzängsten, drohender Entlassungen und steigendem Armutsrisiko. Der Kampf gegen Rassismus muss deswegen auch immer ein Kampf gegen soziale Missstände sein.

Die neoliberale Politik erschwert die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und Angestellten. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, die Einschränkung sozialer Rechte und die weit verbreitete Durchsetzung schlecht bezahlter und unsicherer Arbeitsplätze erhöhen die Zukunftsangst von Millionen von Menschen. Die AfD ist auf diesem Nährboden entstanden und hat hier ihre Kraft gesammelt. Sie gibt gerne vor, die „kleinen Leute“ zu repräsentieren und sich für eine Verbesserung der Lebensumstände von Beschäftigten einzusetzen. Doch sozialpolitische und arbeitsrechtliche Forderungen sind innerhalb der AfD kaum zu vernehmen – auch dann nicht, wenn sie im bürgerlichen Gewand ihr giftiges Gerede verbreiten.

RASSISTEN UND FASCHISTEN WERDEN ERMUTIGT

Der Prozess gegen Beate Zschäpe und die Unterstützer des rechtsterroristischen NSU, die 10 Menschen ermordeten, endete wie bereits zuvor erwartet, ohne wirkliche Aufklärung. Es bestand von Seiten der Bundesanwaltschaft und des Gerichts kein Interesse daran, die durch den Verfassungsschutz vorhandenen staatlichen Verstrickungen im NSU Komplex aufzuklären. Das führte zu einer weiteren Ermutigung der Faschisten. Der Hanau-Anschlag und die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke, der sich für das friedliche Zusammenleben eingesetzt hatte, fanden offen vor allen Augen statt.

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es in den staatlichen Sicherheitsorganen rassistisch-faschistische Strukturen und Organisationen gibt. Noch immer wurden aber keine ernsthaften Schritte unternommen, um sie zu zerschlagen. Die Regierung muss sofort alle faschistischen Organisationen verbieten. Diejenigen, die Menschen aufgrund von Religion, Sprache, Hautfarbe und Geschlecht diskriminieren und zur Zielscheibe machen, müssen bestraft werden. Rückschrittliche Gesetze, die die rechtliche Grundlage für Rassismus schaffen, müssen aufgehoben werden und eine Gleichberechtigung für alle Menschen in allen Bereichen muss hergestellt werden.

GEMEINSAM SIND WIR STARK!

Es ist ermutigend, dass es eine breite, gesellschaftliche Haltung gegen rassistische Organisationen und gegen Angriffe auf Migranten und Flüchtlinge und leider noch immer auf Jüdinnen und Juden in Deutschland gibt. Am ersten Jahrestag des Anschlags in Hanau gingen Tausende Menschen auf die Straße. Rassismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Sie ist immer ein Angriff auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Ein solidarisches, friedliches und gleichberechtigtes Miteinander braucht heute mehr denn je ein entschlossenes Einstehen gegen jede Form von Spaltung und Rassismus.

Wir, die Föderation der Demokratischen Arbeitervereine, beteiligen uns anlässlich dieser abscheulichen Form der antisemitischen Ausgrenzung und des Übergriffs auf diese jüdische Familie in Heikendorf an den Aktionen. Wir treten Rassismus und Nationalismus mit Antifaschismus und Solidarität entgegen und das tun wir mit der Überzeugung, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft und in allen Teilen der Gesellschaft. Dafür stehen und kämpfen wir, den nur gemeinsam sind wir stark!

Hoch lebe die internationale Solidarität…

 

 

Fotos der Demonstration sind hier zu finden:

https://foto.ulfstephan.de/albums/demonstration-gegen-antisemitismus-in-heikendorf/