Im Rahmen des Projekts Quali2move entwickelten die Projektpartner eine gemeinsame Deklaration zur europäischen
Dimension der gewerkschaftlichen Bildung.
Im Rahmen der Abschlusskonferenz, am 29.11.2012, in Berlin, wurde diese Absichtserklärung von allen Projektpartnern unterzeichnet.
Absichtserklärung für eine transnationale gewerkschaftliche Bildung in Europa
Im EU-Projekt Quali2Move haben von 2011-2012 Gewerkschaften und ihre Bildungseinrichtungen aus acht Ländern an einer europäischen Dimension gewerkschaftlicher Bildung bearbeitet.
Sie wurden durch die Bildungs-Abteilung des Europäischen Gewerkschaftsinstitutes
(ETUI) unterstützt, das eine entscheidende Rolle bei der Stärkung von Wissen, Kompetenzen
und Identität der europäischen Gewerkschaftsbewegung spielt.
In Anlehnung an die Deklaration zur beruflichen Aus- und Weiterbildung des
Newton-
Projekts formulieren die Projektpartner von Quali2Move2 gemeinsame Grundlagen und Ziele
zur gewerkschaftlichen politischen Bildung. Die Unterzeichner/innen rufen die europäischen
Gewerkschaften und gewerkschaftlichen Bildungsträger dazu auf, in ihrer Bildungsarbeit im
Rahmen ihrer Möglichkeiten und unter Berücksichtigung ihres kulturellen, geschichtlichen
und gesellschaftspolitischen Kontextes diesen Bildungsansatz zu unterstützen und umzusetzen.
Demokratisierung Europas durch die Förderung von Teilhabe und Mitgestaltung
Gewerkschaftliche Bildung ist eine wichtige Säule der Jugend- und Erwachsenenbildung. In
nahezu allen europäischen Ländern folgt sie einer starken Tradition der selbstorganisierten
und interessenorientierten Ergänzung des allgemeinen Bildungssystems. Gewerkschaftliche
Bildung hat das Ziel, die Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Mitgestaltung
in Betrieb und Gesellschaft zu fördern. Dafür entwickeln Gewerkschaften und ihre Bildungspartner
Bildungsangebote jenseits des formalen Bildungssystems. Sie hat den Anspruch,
kritische Urteilskraft, den Mut und das Selbstbewusstsein der Lernenden zu fördern,
um betriebliche und gesellschaftliche Entwicklungen solidarisch mitzugestalten.
Bildung ist eine unerlässliche Voraussetzung für gesellschaftliche und politische
Teilhabe sowie Partizipation im Betrieb, am Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft, der Politik
und den Bildungssystemen. Ziel der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ist daher
die Förderung der Mitgestaltung in diesen Bereichen. Gewerkschaftliche Bildung zielt
mit ihren Inhalten und der Kompetenzentwicklung auf die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten
und die Durchsetzung von Partizipation und Mitbestimmung. In Europa
eröffnet sie damit Chancen für transnationale Demokratisierungsprozesse.
Solidarität als Kernprinzip der Bildung
Die Entwicklung der Bildungssysteme in Europa leidet unter Kürzungen der finanziellen Mittel
und Einschränkungen des Zugangs zu Bildungsangeboten. Privatisierungen und politische
Regulierungen im Bildungsbereich erzeugen zunehmende Bildungsungleichheit. Die
Konkurrenz der Lernenden nimmt zu und verhindert das Lernen kooperativen und solidarischen
Verhaltens als Grundlage einer Demokratie. Gleichzeitig gefährdet ausgrenzender Wettbewerb auch in beruflichen und sozialen Kontexten
die Demokratie und erschwert solidarisierendes Verhalten. Diese Prozesse müssen zur
Schaffung eines demokratischen Gemeinwesens gestoppt und radikal geändert werden. Bildung
und bürgerschaftliches Engagement ist mehr als die Hervorbringung von Beschäftigungsfähigkeit.
Ökonomie und das Soziale sehen wir als zusammenhängenden Bereich, in
dem durch Teilhabe und Mitgestaltung zum einen das politische Gemeinwesen, zum anderen
die persönlich-kulturelle Entwicklung auf der Grundlage der Sozialität der Menschen gefördert
wird. Gewerkschaftliche Bildung übt seit Jahren Kooperation statt Konkurrenz in der
Bildung ein und fördert damit demokratisches Verhalten innerhalb sozialer Räume, die sich
heutzutage transnational ausweiten. Die aktuelle Krise in Europa verweist deshalb auf die
wichtige Rolle der gewerkschaftlichen Bildung als Teil der außerschulischen Bildung und des
lebensbegleitenden Lernens in Europa.
Gewerkschaftliche Bildungsarbeit folgt dem Prinzip der Kooperation und fördert Solidarität
als einen Grundwert, der sich in Theorie und Praxis von Lernprozessen niederschlägt.
Im praktischen Prozess des gemeinsamen Lernens wird das Bewusstsein
gemeinsamer ökonomischer und gesellschaftlicher Interessen gefördert. Dieses bildet
die Grundlage solidarischen Handelns. Konzeptionell und methodisch folgt gewerkschaftliche
Bildungsarbeit einem subjektorientierten Ansatz, der sich von Praktiken
reiner Wissensvermittlung abgrenzt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als aktive
und sozial lernende Subjekte begreift. Die Methoden ermöglichen eigenständige
Lernprozesse durch gemeinsame Diskussions- und Erkenntnisprozesse.
Kritischer Bildungsansatz
Das politisch-institutionelle Europa sowie multinationale Unternehmen treffen Entscheidungen
mit weit reichenden Folgen für die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Europäerinnen
und Europäer in den verschiedenen Ländern. Um dramatische Folgen für die Menschen wie
aktuell beispielsweise in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Italien abzuwenden,
bedarf es einer gemeinsamen kritischen Öffentlichkeit, die die politischen Auseinandersetzungen
nicht auf den nationalen Raum beschränkt, sondern transnationale Diskursräume
eröffnet. Die vielschichtige Krise in Europa offenbart damit die Notwendigkeit einer arbeitnehmerorientierten
Bildung. Ein gemeinsames kritisches Bewusstsein gegenüber politischen
und wirtschaftlichen Entwicklungen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene
muss durch Bildung gefördert werden.
Gewerkschaftliche Bildungsarbeit folgt daher einem kritischen Ansatz. Herrschaftsmechanismen
werden kritisch hinterfragt und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen
Entwicklungen wird kritisch gegenüber herrschenden Deutungsmustern
ermöglicht und praktiziert. Respekt vor Andersdenkenden ist dabei die Grundlage
zwischenmenschlichen Umgangs. Begründungen des kritischen Ansatzes der Bildung
speisen sich aus Ideen und Werten, die in den Begriffen Solidarität, Demokratie,
Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Fairness zum Ausdruck kommen. Die Gestaltung
von Bildungsprozessen richtet sich inhaltlich und methodisch an diesen Werten
aus.
Politische und soziale Entwicklung Europas durch Förderung europäischer Identität
Gewerkschaften in Europa müssen transnationale Demokratisierungsprozesse gestalten, um
die politische und soziale Union neben der fiskalischen und ökonomischen Basis zu entwickeln.
Mit ihren jeweiligen Bildungsaktivitäten leiten sie einen Kurswechsel für ein solidarisches
Europa ein. Quali2Move geht mit der Förderung eines gemeinsamen Verständnisses
der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und der ersten Entwicklung gemeinsamer Inhalte,
Konzepte und Methoden entschiedene Schritte in diese Richtung.
Auf der Grundlage dieses gemeinsamen Bildungsverständnisses verpflichten sich
die Unterzeichner/innen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Bildung eines europäischen
sozialen Bewusstseins der Arbeitnehmer/innen und ihrer Interessenvertreter/
innen beizutragen und entsprechende Handlungskompetenzen zu entwickeln. Ziel
dieses sozialen Bildungsprozesses ist die Hervorbringung einer praxiswirksamen auf
die Arbeits- und Lebensrealität bezogenen europäischen Identität von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern, die auf der Einsicht und der Anerkennung gemeinsamer
ökonomischer, sozialer, beruflicher sowie persönlich kultureller Interessen aufbaut.
Die unterzeichnenden Gewerkschaften initiieren Projekte zur Förderung des Austauschs,
der Diskussion und weiteren Verbreitung dieser Prinzipien der gewerkschaftlichen
Bildungsarbeit zur Einleitung eines politischen Kurswechsels für ein Europa
der Solidarität, Fairness und sozialen Gerechtigkeit.
Berlin, am 29. November 2012