Unverblümte Aufforderung zum Protest
Eine "Rehabilitation der Arbeit" forderte der einstige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CSU) gestern Abend bei der Vertrauensleutekonferenz der IG Metall. Der gelernte Werkzeugmacher, selbst Gewerkschafter, war einziger Redner der gut besuchten Veranstaltung im Naturfreundehaus und referierte zum brandaktuellen Thema "Sozialpolitik und Finanzmarkt".
"Eine Gesellschaft der Kalkulatoren, eine Gesellschaft der Egoisten - das ist eine Gesellschaft der Idioten", resümierte Blüm nach seinem rund einstündigen Vortrag und schloss mit Blick auf die aktuelle Lage mit dem prägnanten Satz: "Jetzt weiß jeder: Das Fest ist aus, der Rummel ist vorbei!"
Seine Thesen: Der Wert der Arbeit muss gesellschaftlich wieder eine höhere Anerkennung erfahren. Anstand und Moral müssen kurzfristiges, profitorientiertes Denken ersetzen. Und: Im Hinblick auf die Sicherung der Sozialsysteme sind der Staat und das solidarische Miteinander die bessere "Versicherung", als Kapitalanlagen, deren Wert allenfalls virtuell ist und sich - wie erlebt - auch schnell in Luft auflösen kann. "Von 120.000 Pensionsfonds in den USA haben nur 36.000 diese Krise überlebt", weiß Blüm, der Rentenfuchs, der "sein" umlagenfinanziertes System der Kapital gedeckten Rente klar vorzieht. Dazu aber später mehr...
Hauptanliegen des quirligen Freiredners war es, der produktiven Arbeit als solchen wieder zu einem angemessenen Stellenwert in der Gesellschaft zu verhelfen. Blüm: "Quelle unseres Wohlstandes ist und bleibt die Arbeit - es gibt keine andere Quelle." Die massiven weltweiten Kapitalmarkts-Transaktionen hätten in den vergangenen 30 Jahren eine Scheinwelt geschaffen. "1980 waren Güter und Geldmarkt noch im Gleichgewicht. Seitdem hat sich die reale Weltwirtschaft versechsfacht, die Finanzmärkte wurden aber um das 17- fache aufgebläht. ", klagt Blüm und resümiert: "Das System ist übergeschnappt". Das Streben nach Reichtum als oberstes gesellschaftliches Ziel bezeichnet er als "eine Kulturschande" und spricht in diesem Zusammenhang auch die überhöhten Managergehälter an: "Geld darf nicht der zentrale Wertmaßstab in diesem System sein - das ist schlicht und einfach eine Anstandsregel."
Blüm erinnerte an Henry Ford - "das war ein kluger Mann: Der wusste, dass er nur reich werden kann, wenn seine Arbeiter die Autos auch kaufen können, die sie bauen..." Und er forderte in diesem Zusammenhang mit Blick auf die aktuelle Situation etwa bei Opel eine "Rehabilitation der Arbeiter": Sollten die neuen Eigentümer oder Investoren Unterstützung vom Staat erhalten durch Kredite oder Bürgschaften, dann müsse "das, was daraus entsteht, auch den Beschäftigten zustehen." Dafür gab's viel Beifall - ebenso wie für seinen Feldzug gegen die allumfassende Privatisierung. Die sei deshalb als "Allheilmittel" entdeckt worden, weil immer mehr Anlagemöglichkeiten für Kapital benötigt wurde. "Jetzt soll auch noch der Sozialstaat, das letzte Bollwerk der Solidarität, privatisiert werden", so Blüm, "und da müssen wir als Gewerkschafter aufstehen und klar sagen: So nicht!"
Womit Blüm bei seinem Lieblingsthema angelangt wäre - der Rente. Er bleibe bei seiner bekannten Ursprungsaussage: "Die Rente ist sicher". Allerdings habe diese für das zu seiner Zeit gültige Umlagesystem gegolten, bei dem die Rente stets fix an die Löhne gekoppelt und ein Rentenniveau von 64 Prozent festgeschrieben war. Dass dieses System durch immer weniger Beitragszahler und immer mehr Empfänger mit längeren Ansprüchen demografisch unter Druck geraten wäre, lässt Blüm nicht gelten: "Früher hat ein Bauer vier Menschen ernährt - heute 78. Entsprechend der Logik von Rürup und Riester wären wir alle verhungert. Weil diese Interessensvertreter des Kapitals die Produktivität ausblenden. Nicht die Masse der Menschen ist entscheidend, sondern ihre Produktivität. Sonst müsste der Kongo eine vorbildliche Altersicherung vorweisen."
Heute hätten sich die Konditionen für die Arbeitnehmer auch dank der Riester-Rente drastisch verschlechtert. Statt des Rentenniveaus habe man das Beitragsniveau fixiert - bei 22 Prozent, wovon Arbeitgeber und Arbeitnehmer je die Hälfte tragen. Gegenüber früher (24 %) sehe dies zunächst wie eine Verbesserung aus, doch weil die Arbeitnehmer nun - nach ihren Möglichkeiten - bis zu vier Prozent in Riesterverträge einzahlten, wäre deren Belastung unterm Strich höher. Schlimmer noch: Der Versorgungsanspruch am Ende der Arbeitszeit sei heute geringer, als früher. Blüm süffisant in Richtung IGM-Vertrauensleute: "Ihr seid schlicht und ergreifend verarscht worden vom ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall."
Das Kapital gedeckte Rentensystem ist nach Ansicht des ehemaligen Ministers und Handlungsreisenden in Sachen sozialer Gerechtigkeit eine Schimäre: "So groß kann der Kapitalstock gar nicht sein, dass er alle Ansprüche befriedigen könnte." Das "alte" Rentensystem sei genial, weil es in einem Generationenvertrag den eigenen Vorsorgeanspruch verbinde mit der Solidarleistung, die man für andere erbracht habe. Dass man hierhin wieder zurück kehren möge - das ist Blüms Wunsch. Und vor diesem Hintergrund mag man auch akzeptieren, dass er - wenn auch nicht explizit - einen zuvor gestarteten "Aufruf zu sozialen Unruhen" des IG-Metall-Bevollmächtigten Klaus Ernst unterstützte. Der will am 13. Mai in den Schweinfurter Großbetrieben die Arbeit nieder legen lassen, um für einen "Schutzschirm für die Menschen" zu demonstrieren. Der sei mindestens ebenso wichtig, wie der Schutzschirm für die Banken. Die Forderungen der IG Metall: Längere Bezugsdauer für das ALG I, höhere Sätze bei Hartz IV sowie "strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zur Steuerung der Märkte im Interesse der Beschäftigten" (mehr Mitbestimmung). Zugleich warb Ernst für die DGB- Demonstration am 16. Mai in Berlin.
Ernst begrüßte Norbert Blüm mit dem Hinweis, früher sei er auch dafür gewesen ihn, Norbert Blüm, aus der IG Metall auszuschließen, jetzt höre er ihn gerne zu. Darauf Blüm: In meiner Zeit als Minister sollte ich drei mal aus der IG Metall ausgeschlossen werden. Die haben es nicht geschafft- und meine Partei wird es auch nicht schaffen!