Die Menschen haben ein gutes Gefühl dafür, wann ihr Leben aus der Balance gerät, wann das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben nicht mehr stimmt. Wie ausgeglichen es ist, hängt für alle von denselben Faktoren ab. Die 35-Stunden-Woche ist die Wunscharbeitszeit der meisten Beschäftigten. Dazu kommt: Wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte auf die Arbeitszeiten achten, sind Beschäftigte mit ihren Arbeitszeiten deutlich zufriedener als dort, wo sie nicht gelten. Das sind zentrale Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall. Mehr als 680 000 Menschen beteiligten sich an ihr. Sie ist damit die bislang größte und umfangreichste Befragung in Deutschland.
Die einen stehen am Anfang ihres Berufslebens und wollen eine Familie gründen. Die anderen haben 30 Jahre auf dem Buckel und möchten ihrer Gesundheit zuliebe kürzer treten. Die einen leiten ein Team mit 30 Leuten, die anderen schlagen sich als Einzelkämpfer im Außendienst durch. So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich ist ihr Privat- und Arbeitsleben. Nur in einem Punkt unterscheiden sie sich nicht: Egal ob Schichtarbeiter oder Einkäuferin, alle wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen.
Die 35-Stunden-Woche ist die Wunscharbeitszeit der meisten Beschäftigten. Und ob Arbeitszeiten besser oder schlechter zum Leben passen, hängt für alle Beschäftigten mit den gleichen Dingen zusammen. Das sind zentrale Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung der IG Metall zu den Arbeitszeiten in ihren Branchen.
Beschäftigte, die mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind...
- haben oft Arbeitszeiten, die in etwa ihrer Wunscharbeitszeit entsprechen.
- haben meist planbare Arbeitszeit.
- können häufig eine Zeit lang auch mal kürzer arbeiten.
- können ohne Probleme auch mal später zur Arbeit kommen oder früher gehen.
Beschäftigte, die unzufrieden sind mit ihrer Arbeitszeit...
- haben häufig überlange Arbeitszeiten.
- müssen oft am Wochenende arbeiten.
- haben häufig keine planbaren Arbeitszeiten.
- setzen Leistungsanforderungen öfter unter Zeitdruck.
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, zieht daraus den Schluss: "Wir können überall an den gleichen Hebeln ansetzen, um die Arbeitszeiten zu verbessern." Und sie so verbessern, dass Beschäftigte Sicherheit haben, die Arbeitszeit gerecht verteilt wird und es ihnen möglich ist, Arbeit und Leben selbstbestimmt zu gestalten. "Eine solche neue Arbeitszeit hat nichts mit dem rückwärtsgewandten Bild vieler Arbeitgeber gemeinsam", sagt Hofmann. "Wir müssen das Mantra der Arbeitgeber 'Vollzeit plus Überstunden plus Flexibilität plus Leistungsdruck' durchbrechen. Das sind keine Arbeitszeiten, die zum Leben passen." Das geht nicht nur an den Wünschen der Beschäftigten vorbei, die ihre Arbeitszeit über den Lebensverlauf umverteilen wollen. Es passt auch nicht zur modernen Arbeitswelt.
Verteilen, statt ausgrenzen
Arbeitszeiten, die sich ausschließlich am Vollzeitjob orientieren, grenzen Mütter und Väter aus, die ihre Kinder heranwachsen sehen wollen, ohne auf ihre Arbeit und ein existenzsicherndes Einkommen zu verzichten. Sie grenzen Menschen aus, die gesundheitlich oder wegen ihres Alters kürzer treten wollen. Sie grenzen Menschen aus, die Zeit brauchen, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten aufzufrischen, um mit dem digitalen Fortschritt am Arbeitsplatz Schritt zu halten.
Das bisher gültige Arbeitszeitmodell grenzt nicht nur aus, es verteilt Arbeit auch ungerecht. Während die einen am Rande ihrer Kräfte arbeiten - abends, am Wochenende und im Urlaub nicht abschalten können - reicht anderen ihre Arbeitszeit nicht aus, um ihre Existenz zu sichern. Sie halten sich mit Minijobs über Wasser oder stecken in unfreiwilliger Teilzeit fest.
Mit ihren Tarifverträgen hat die IG Metall viel erreicht. Wo sie gelten und wo Betriebsräte auf die Arbeitszeit achten, sind Beschäftigte deutlich zufriedener als in nicht tarifgebunden Betrieben. In Betrieben mit Betriebsrat sind 76 Prozent der Beschäftigten mit ihrer Arbeitszeit zufrieden - wo er fehlt, sind es nur gut 50 Prozent.
Damit widersprechen die Ergebnisse auch der Forderung der Arbeitgeber, angesichts der Zufriedenheit der Beschäftigten verbindliche Regeln abzuschaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Beschäftigte sind dort zufrieden, wo Regeln gelten, wo Tarifverträge gelten und Betriebsräte gute Arbeit machen. "Und zufrieden sein, bedeutet: Man hat sich arrangiert. Das schließt nicht aus, dass die Arbeitszeitrealität verbessert werden muss", sagt Hofmann.
Gut ein Viertel der Befragten ist unzufrieden mit ihrer Arbeitszeit. Es gibt große Unterschiede - zwischen einzelnen Betrieben und zwischen Bereichen. Die Beschäftigten aus den verschiedenen Bereichen unterscheiden sich nicht darin, was für sie gute Arbeitszeiten ausmacht, sondern darin, wie ihre Arbeitswirklichkeit aussieht. So sind Beschäftigte in der IT, in der Forschung und Entwicklung oder mit mobiler Arbeit zufriedener als Schichtarbeiter, Außendienstler oder Führungskräfte.
Die Ergebnisse wird die IG Metall zunächst in den Betrieben diskutieren. Dazu hat sie die Auswertung für alle Betriebe ab 200 Beschäftigten aufbereitet. Die Anonymität bleibt dabei gewahrt.
Außerdem diskutiert die IG Metall auf Basis der Ergebnisse tarifpolitische Forderungen. Es geht unter anderem um die Frage, was sie in der Tarifrunde 2018 fordert. Erste Vorschläge wird es Ende Juni auf der arbeitszeitpolitischen Konferenz der IG Metall in Mannheim geben.
Ziel der IG Metall ist eine arbeitszeitpolitische Wende, so der Erste Vorsitzende. Sie will eine neue Balance für mehr Selbstbestimmung schaffen, die sich an den Interessen der Beschäftigten ausrichtet. Dieses Ziel können weder Einzelne noch Betriebsräte durchsetzen. Das sehen auch die Beschäftigten so und setzen daher auf Tarifverträge und Gesetze.