"Tarifverträge werden nicht geschenkt"
Ein Interview mit Sebastian Reinz, Betriebsratsvorsitzender bei der Eisengießerei Baumgarte in Bielefeld.
Sebastian Reinz ist Betriebsratsvorsitzender bei der Gießerei
Baumgarte in Bielefeld.
Sebastian Reinz (45), Gießereimechaniker,
ist seit 1992 bei der
Baumgarte Eisengießerei beschäftigt.
Seit 2015 ist er Betriebsratsvorsitzender.
Wir sprach mit ihm über die
Lage im Betrieb, Erfolge und die
aktuelle Tarifrunde.
Hallo Sebastian, Du bist Betriebsratsvorsitzender
der
Baumgarte Eisengießerei.
Unabhängig von Corona
stehen die Gießereien unter
einem enormen Druck. Wo
liegen aktuell die größten
Herausforderungen für Euren
Betrieb?
Sebastian: Die notwendige Energiewende
macht uns zu schaffen
und das erschwert die Bedingungen
in der weltweiten Wettbewerbssituation.
In Deutschland
sind die ökologischen Standards
für die Produkte sehr
hoch. Wir haben super Emissionswerte.
Da kann kaum einer
mithalten auf der Welt.
Wenn aber Unternehmen dann
wegen Lohndumping und noch
höheren Renditen ins Ausland
verlagern, den nicht sauberen
Guss mit Containerschiffen nach
Deutschland holen, läuft etwas
falsch.
Wir konnten früher jedes
Jahr investieren, weil genug
Geld am Ende des Jahres übrig
war. Die Energiekosten verkleinern
zunehmend die Erlöse und
sorgen dafür, dass zurückhaltender investiert wird. Das ist
nicht gut.
Dein Vorgänger als Betriebsratsvorsitzender hat große Fußstapfen hinterlassen - Mit welchem Gefühl hast du die Arbeit von ihm vor 5 Jahren übernommen und wie konntet ihr die gute Arbeit der Vergangenheit weiterführen?
Ehrlich gesagt hatte ich ordentlich Muffensausen dabei. Der Kollege Göcmen war ein über Jahrzehnte gestandener Betriebsrat und Gewerkschafter. Aber weil er die Erfahrung und die Weitsicht hatte, hat er mich auch Stück für Stück herangeführt an die Verantwortung. Mit viel Weitsicht, hat er es ermöglicht, dass ich in die Aufgabe hineinwachsen konnte.
Hinzu kam, dass wir ein tolles Gremium haben, wo vieles über Teamwork funktioniert. Durch die gute Übergabe hatten wir Strukturen im Betriebsrat, die wir erst mal beibehalten konnten konnten. Darauf haben wir uns dann weiterentwickelt.
Diese Kombination kann man sich nicht einfach bestellen, aber dafür jeden Tag zusammenarbeiten und sich auch in schweren Zeiten nicht beirren lassen.
Wie hast du die Zusammenarbeit mit der IG Metall in dieser Phase und danach erlebt?
Die war unheimlich wichtig und ist sie immer noch. Auch wenn du dich vorbereitest, stehst du plötzlich in der Verantwortung. Der Arbeitgeber weiß auch, dass ggf. seine Chance gekommen ist, alte Errungenschaften des Betriebsrates mal in Frage zu stellen und zu schauen, wie weit man mit dem Neuen gehen kann.
Da ist der Rückhalt im Gremium und vor allem mit der IG Metall unheimlich wichtig. Auch wenn ich es nicht immer brauchte, war es gut zu wissen, dass wir einen kurzen Draht zur IG Metall hatten. Wir wussten immer, dass die IG Metall hinter uns stand, wenn wir uns hier für die Kollegen einsetzen.
Was natürlich auch wichtig war und auch weiter wichtig ist, sind die zahlreichen Angebote der IG Metall. Ich war ab der Ausbildung Mitglied aus Überzeugung. Wie wichtig die IG Metall aber für eine Belegschaft sein kann, habe ich als Betriebsrat noch stärker erlebt. Die zahlreichen Schulungen und der Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen zum Thema Mitbestimmung, Branchenarbeit, Tarifvertrag etc. kann nichts ersetzen.
In den letzten fünf Jahren
sind über 60 Kolleginnen
und Kollegen in die IG Metall
eingetreten und Ihr
habt Euren Organisationsgrad
um 15 Prozent erhöht.
Wie habt Ihr das gemacht?
Wir haben viele Gespräche geführt
und den Leuten klargemacht,
dass wir uns nur gut
durchsetzen können, wenn wir
uns auch gut organisieren. Tarifverträge
und gute Arbeitsbedingungen
werden nicht geschenkt
Egal ob es ein betriebliches Thema ist oder die Tarifrunde bzw. die Umsetzung der Tarifverträge ist eins klar: Mit den Leuten reden, sie Beteiligen und den Zusammenhang erklären, warum eine Mitgliedschaft in der IG Metall selbstverständlich ist. Bei manchen reicht ein Gespräch, bei manchen brauchst du drei Gelegenheiten.
Und es gibt etwas, was wir uns von unserem alten Vorsitzenden mitgenommen haben. Er hat immer gesagt, dass das A und O es ist glaubwürdig zu bleiben, den Kolleginnen und Kollegen zuzuhören und sich immer erst richtig zu informieren, bevor man Entscheidungen fällt oder einen Kollegen berät.
Die kommende Tarifrunde
wird sicherlich anders ablaufen.
Was erwartest Du
von der Tarifrunde 2021
und was ist bei Euch im Betrieb
besonders wichtig?
Wichtig wäre es, dass die Arbeitgeber
einen Tarifabschluss mitgestalten,
der deutlich macht,
dass sie für ihren Betrieb und die
Beschäftigten Verantwortung
übernehmen. Ich finde die Tarifforderung
richtig, die Themen
Beschäftigungssicherung, Zukunft
gestalten und Einkommen
steigern passen genau. Alle drei
Themen zu bündeln und das gemeinsam
zu diskutieren, ist genau
richtig für uns!
Wir leben hier vor Ort, wir brauchen hier unser Jobs, die auch zukunftssicher sind und wir brauchen nach 2018 endlich wieder Bewegung bei den Entgelten. Alles ist wichtig für die Beschäftigten und deren Familien.
Ich hoffe die Arbeitgeber begeben sich auf diesen konstruktiven Dialog und suchen nach Lösungen. Ansonsten werden wir wissen wie wir zu reagieren haben Corona hin oder her
Die Belegschaft von Baumgarte beim Streik 2018.