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IG Metall Region Hamburg-Forum - Deserteursdenkmal_2012_01

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Ein Deserteursdenkmal für Hamburg

Den Deserteur des Zweiten Weltkrieges, Ludwig Baumann, zu hören, ist ein Erlebnis. Dem 90-Jährigen ist auf den ersten Blick nicht anzumerken, wie viel Unmenschlichkeit er erleben musste. Ludwig Baumann wurde 1921 in Hamburg geboren, hier wuchs er auf. 1940 wurde Ludwig Baumann mit 19 Jahren in die Kriegsmarine ein­berufen und in Frankreich stationiert. Im Frühjahr 1942 versuchte er mit seinem Freund Kurt Oldenburg zusammen, in den unbesetzten Teil Frankreichs zu entfliehen.
Eine deutsche Zollstreife fasste sie. Die Verhandlung vor dem Marinegericht am 30.6.1942 dauerte nur 40 Minuten. Marinekriegsrat Dr. Lueder verteilte Baumann und Oldenburg zum Tode. Auf Intervention eines Geschäftsfreundes seines Vaters wurden beide begnadigt und die Todesurteile am 20.8.1942 in eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren umgewandelt. Erst am 29.4.1943 wurden die beiden darüber unterrichtet. Baumann und Oldenburg kamen ins KZ Emsland, von dort ins Wehrmachtsgefängnis Torgau, wo ab 1943 auch das Reichskriegsgericht tagte.

Über 1.300 Wehrmachtshäftlinge wurden dort erschossen, erhängt oder enthauptet. „Diejenigen, die Torgau überlebten, die kamen zu den Strafbataillonen. Fast keiner von uns hat überlebt.“ berichtet Ludwig Baumann in einem Interview (1). „Auch mein Freund Kurt Oldenburg nicht.“ Viele der Überlebenden waren körperlich und seelisch zerbrochen.

Die Wehrmachtsjustiz

Die Wehrmachtsjustiz mit ihren ca. 3.000 Militär-richtern war ein aktives und gefügiges Werkzeug des Faschismus und seines verbrecherischen Angriffskrieges. Die Urteile wegen „unerlaubter Entfernung von der Truppe“, „Fahnenflucht“ und „Wehrkraft­zer­setzung“ waren geprägt von der NS-Ideologie und der Übereinstimmung mit den Kriegszielen. In einem Todesurteil heißt es beispielsweise: „Wer die Wehrgemeinschaft verlässt, ist ein Volksschädling, und hat kein Recht, ins Volk zurückzukehren.“ (2)

Dazu Ludwig Baumann: „Sie haben an uns die blutigste juristische Verfolgung der deutschen Geschichte begangen. Über 30.000 Todesurteile, 23.000 Hinrichtungen und bis zu 100.000 Verurteilte, die Konzentrationslager, Straflager oder Strafbataillone in der Regel nicht überlebten. Viele der Richter haben nach dem Krieg Karriere gemacht. Im Westen ist nicht einer von ihnen bestraft worden. Die Richter, die in der DDR bestraft wurden, wurden 1992 mit dem ersten sogenannten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz rehabilitiert, auch wenn diese Richter (im Krieg) Todesurteile gefällt haben. Überlebt haben das Grauen in den KZs und Strafbataillonen keine 4.000 von uns.“


 Wehrmachsgefängnis Torgau
heute
Das öffentliche Interesse erwachte erst, als 1978 der Baden-Württembergische Minister­präsident Hans Filbinger zurücktreten musste, der als Marinerichter und Ankläger an vier Todesurteilen beteiligt war. Filbinger: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ 1990 gründete Ludwig Baumann mit 36 anderen Überlebenden die „Bundes­vereinigung Opfer der Militärjustiz e. V.“.
Seitdem läuft der unermüdliche Kampf für die Rehabilitierung der Deserteure. 1991 entschied das Bundessozialgericht, dass die Todes­urteile gegen die Deserteure unrechtmäßig, die Militärgerichte Gehilfen des Naziterrors gewesen seien. Den Hinterbliebenen der hingerichteten Soldaten wurde eine Entschädigung zugesprochen.

1998 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtstaten“, nach dem allerdings Deserteure ein politisches Motiv ihrer Entfernung von der Truppe nachweisen mussten. Erst am 17.5.2002 hob der Bundestag die meisten NS-Gerichtsurteile auf. Doch jene, die des „Kriegsverrats“ für schuldig befunden worden waren, blieben weiterhin ausge­klam­mert. Erst am 8.9.2009, 64 Jahre nach Ende des Krieges, wurden die entsprechenden Urteile aufgehoben.

Hamburg

Aus Hamburg, berichtet Ludwig Baumann (3), stammten viele Wehrmachtsdeserteure. 350 sind aktenkundig, er vermutet weit mehr, 200 von ihnen wurden hingerichtet. Die Erschießungen fanden auf dem Schießplatz am Höltigbaum in Rahlstedt statt. Auf dem ehemaligen Schießplatz Höltigbaum gibt es, nachdem der dortige Bundeswehr-Standort aufgegeben wurde, eine kleine Gedenktafel mit dem Text: „Auf den Schießständen des Übungsplatzes wurden beginnend mit dem Jahr 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges mindestens 330 Wehrmachtsangehörige, aber auch Kriegsgefangene hingerichtet.

Die Todesurteile fällten Kriegsgerichte der Wehrmacht in Hamburg, Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung waren zumeist die Gründe. Aus Soldaten der umliegenden Kasernen bildete man die Hinrichtungskommandos. Kurz vor Kriegsende, am 28. April 1945, fanden die letzten Exekutionen statt.“ Weitere 40 Deserteure wurden im Innenhof des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis geköpft. Genaueres werden die aktuell laufenden Forschungen ans Tageslicht befördern.

Im Sommer 2010 gründete sich in Hamburg das „Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal“ (4), dem mittlerweile 17 Organisationen beigetreten sind. Das Bündnis veranstaltete diverse Friedensfeste und Veranstaltungen, zuletzt eine Veranstaltungswoche vom 12. bis 19. November 2011.

Vom Schicksal der Wehrmachts-Deserteure handelte die Ausstellung „Entfernung von der Truppe“, die in der Harburger Bücherhalle gezeigt und in der besonders auf Biographien von Deserteuren aus Harburg und Wilhelmsburg eingegangen wurde. Zum „Tag des offenen Denkmals“ am 11.9.2011 führte das Bündnis am Kriegsklotz am Dammtor sein 3. Friedensfest durch, wobei auch der Chor Hamburger GewerkschafterInnen auftrat. Am 76er Denkmal wurde eine lebensgroße Deserteursfigur befestigt, die entgegengesetzt zu den Marschierern läuft.

Ein Deserteursdenkmal am Kriegsklotz


 Kriegsklotz am Dammtor
Das 76er-Kriegerdenkmal am Dammtor ist seit jeher ein Klotz des Anstoßes. Auf der offiziellen Tafel am Klotz steht zu lesen: „Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde 1934 ein Wettbewerb für ein Denkmal für das Hamburger Infanterieregiment 76 ausgeschrieben. Teilnehmer sollten ‚reichsdeutsche arische Architekten und Bildhauer‘ sein.

Der NS-Senat genehmigte den Entwurf eines Denkmalblocks von Richard Kuöhl. Die umlaufende Darstellung, Soldaten in Marschuniform sowie die Inschriften ‚Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen‘ und ‚Großtaten der Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft‘ zeigen die kriegsvorbereitende NS-Propaganda. Am 15. März 1936 wurde das Denkmal mit einer Militärparade eingeweiht.

Nach 1945 wurde immer wieder die Zerstörung des Denkmals mit der Begründung gefordert, es verherr­liche Militarismus und Heldentod. Der Senat entschied, das Denkmal als Zeugnis der Geschichte am Ort zu belassen, es jedoch zu kommentieren. Auf Empfehlung der Hamburger Kunstkommission wurde der Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka beauftragt, den Platz so umzugestalten, dass aus einer Kriegsverherrlichung ein Mahnmal gegen den Krieg wird.‘ … Zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 wurde der ‚Hamburger Feuersturm‘ und am 29. September 1986 die Skulptur „Untergang von KZ-Häftlingen‘ errichtet. Nur diese beiden (der geplanten 4) wurden realisiert.“
Am 14.11.2011 war zu einer Podiumsdiskussion in die Uni Hamburg eingeladen worden: „Krieg nicht verklären – Deserteure ehren. Kriegerdenkmal und Gegendenkmal am Stephansplatz – ein Ort für das in Hamburg fehlende Deserteursdenkmal?“ Die Debatte fand ein positives Ergebnis: Die Vertreter aller in die Bürgerschaft gewählten Parteien sprachen sich dafür aus, dass in Hamburg ein Denkmal für die Deserteure der Wehrmacht errichtet werden und dass dieses die Funktion eines Gegen-Denkmals zum Kriegsklotz haben sollte. Es gelte die zu ehren, die ermordet wurden, weil sie sich dem verbrecherischen Krieg verweigert hätten.

Norbert Hackbusch (Die Linke) kündigte als Vorsitzender des Kulturausschusses der Hansestadt anschließend an, er werde auf dessen nächster Sitzung eine Expertenanhörung zu diesem Thema vorschlagen.

Aber das Deserteursdenkmal zu realisieren, wird trotzdem noch vielfache Aktivitäten erfordern.

    „Wir werden nie mehr antreten
    auf einen Pfiff hin
    und Jawohl sagen
    auf ein Gebrüll.“
    Wolfgang Borchert, Hamburg 1947
Wolfgang Erdmann

Quellen

    (1) Dietmar Buttler in Junge Welt, 30.8.2011
    (2) Vortrag von Dr. Magnus Koch in der Uni Hamburg vom 17.11.2011
    (3) Ulrike Grammann in ND vom 13.12.2011
    (4) Bündnis für ein Hamburger Deserteursdenkmal: www.Feindbeguenstigung.de, Kontakt über die willi@bredelgesellschaft.de