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IG Metall Region Hamburg-Forum - un_mandate_2012

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Rechtfertigt ein UN-Mandat den Krieg?

Der 22. ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall vom Oktober 2011 entschied in seiner Entschließung 1 eine bemerkenswerte und positive Position zum Thema Frieden und Abrüstung: „Die IG Metall unterstützt ausdrücklich das Begehren der Menschen nach Freiheit, Demokratie und gerechter Verteilung des Reichtums …
Sie lehnt militärische Interventionen ohne UN-Mandat als Mittel der Konfliktlösung ab und fordert den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die ungelöste soziale Frage und die Frage der Demokratie sind … die entscheidenden Triebkräfte und Ursachen der gewaltsamen Auseinandersetzungen. In allen Konfliktherden herrscht große Ungerechtigkeit bei der Verteilung der natürlichen Reichtümer dieser Länder. … An diesen Ursachen gilt es anzusetzen. Die EU und die BRD sind gefordert, ihre Entwicklungs- und Außenpolitik so auszurichten, dass Demokratie, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern gefördert werden, statt einseitig Rohstoff-Interessen und Absatzmärkte zum Maßstab ihrer Politik zu machen.“

Abgelehnt werden darin Interventionen „ohne UN-Mandat“. Darüber sollte in der IG Metall solidarisch diskutiert werden, denn damit würde in der politischen Praxis die Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland untergraben werden.

Konkret geht es um die Frage: Rechtfertigt aktuell ein UN-Mandat die Beteiligung an Kriegseinsätzen?

1 - Der Wandel der Friedenspolitik der Vereinten Nationen
Unter Bezug auf Kapitel VI der UN-Charta können durch die UN Einsätze zur „friedlichen Beilegung von Streitigkeiten“ beschlossen werden. Dieser klassische „Blauhelmeinsatz“ muss drei Bedingungen erfüllen: Einverständnis der beteiligten Parteien, Unparteilichkeit und Waffengebrauch ausschließlich zur Selbstverteidigung.

Unter Bezug auf Kapitel VII der UN-Charta können durch die UN aber auch Einsätze beschlossen werden „bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“. Bei diesen Missionen erfolgt der Einsatz militärischer Gewalt über die Selbstverteidigung hinaus, zugunsten einer Partei, oft unter dem Kommando einer Führungsnation sowie mit dem Versuch, staatliche Strukturen aufzubauen.

Darüber hinaus gehen die „Stabilisierungsmissionen“ („Peace Support Operations“) unter Rückbezug auf Kapitel VII der UN-Charta. Paradebeispiele sind die Missionen KFOR im Kosovo (seit 1999) und ISAF in Afghanistan (seit 2001). Das Kommando derartiger Operationen sowie die Ausstattung und die Kosten werden durch die (zum Teil nachträglich) mandatierten „Regionalorganisationen“, in der Regel EU und NATO, übernommen und erfolgen zugunsten einer Partei.

Neben den dominierenden militärischen Einsätzen steht ein breites Aufgabenspektrum von Wahlbeobachtung, über Sicherheitssektorreformen, „zivilmilitärischer Kooperation“, Aufbau staatlicher Strukturen (mit Schwerpunkt Polizei, Militär) bis hin zur Treuhandschaft über Gebiete. Damit sind dann zumeist die Errichtung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung im Inneren und der Versuch, Einfluss auf Rohstoffe und Handelswege zu erlangen, verbunden. Die Bundeswehr ist zur Zeit an neun (!) Auslandseinsätzen unter UN-Mandat beteiligt.

Eine weitere Variante von UN-Militäreinsätzen ist seit 2005 unter der Begründung „Schutzverantwortung“ („Responsibility to Protect“) erfolgt. Diese weist zunächst dem Staat die Pflicht zu, den Schutz seiner Bevölkerung vor folgenden abschließend genannten Verbrechen zu gewährleisten: Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Sollte ein Staat dazu nicht fähig oder willens sein, so sei die UN berechtigt, diese Verantwortung wahrzunehmen – nach vorheriger Ausschöpfung der in der UN-Charta vorgesehenen friedlichen Maßnahmen – ggf. auch militärisch zu intervenieren, wenn hierfür ein entsprechendes Mandat vom UN-Sicherheitsrat vorliegt. Diese Konzeption hat allerdings keinen völkerrechtlichen Status erlangt, dazu bedürfe es einer entsprechenden Neufassung der UN-Charta.

Sie bedeutet eine Missachtung des Nichteinmischungsgebotes in die inneren Angelegenheiten des jeweiligen Staates und damit eine zumindest zeitweilige Beseitigung des Souveränitätsprinzips.

Der UN-Sicherheitsrat hat sich im Jahr 2011 erstmalig auf die „Schutzverantwortung“ bezogen, um militärische Zwangsmaßnahmen gegen die Regierung in Libyen unter Gaddafi zu autorisieren, worauf hin die NATO-Bombardierungen begannen - mit dem Ergebnis eines Regimewechsels - und mindestens 50.000 ziviler Todesopfer. Nur wenige Tage nach der Libyen-Resolution berief sich der UN-Sicherheitsrat erneut auf die „Schutzverantwortung“ und verabschiedete die Resolution 1975 zur Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen in der Elfenbeinküste, womit nach umstrittenen Präsidentschaftswahlen militärisch zugunsten einer Bürgerkriegspartei interveniert wurde.

Diese Militäreinsätze könnten die „Blaupause“ liefern für weitere militärische UN-Interventionen mit dem Ziel eines Regime-Wechsels. Die Folgen dieser Einsätze für die Bevölkerung spielen dabei offenkundig keine Rolle, Menschenrechte dienen nur der Legitimation von Kriegseinsätzen zugunsten von macht- und wirtschaftspolitischen Zielen.

2 - Strukturen und Truppen der UN, Rüstungsinteressen
Unverkennbar ist, dass seit dem Zusammenbruch der Sozialistischen Staaten eine kontinuierliche Verschiebung in den UN hin zur Akzeptanz militärischer Gewalt stattfindet. Dieser Wandel der UN-Politik hat zur Folge, dass Anzahl und Intensität der militärischen UN-Einsätze dramatisch gestiegen sind: umfassten die UN-geführten Missionen im Jahr 2000 noch weniger als 20.000 SoldatInnen und PolizistInnen, so stieg diese Zahl mit Stand Juni 2011 auf etwa 100.000 an.

Seit 1997 wurden auch die UN-Strukturen, die sich mit Friedensmissionen befassen, stark in Richtung Militarisierung verändert. Durchgängig ist dabei die personelle Besetzung von Schlüsselfunktionen mit Absolventen US-amerikanischer Militärakademien sowie ehemaliger NATO-Beschäftigter.

Gemäß UN-Charta Kap. VIII ist die Beauftragung von Regionalorganisationen zulässig. In völliger Verkehrung einer Zielsetzung der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten werden zunehmend Organisationen (NATO, EU, Afrikanische Union AU) beauftragt, militärisch im Auftrag der UN zu agieren. Dass Militärbündnisse nicht plötzlich unter UN-Mandat zu Friedenstauben werden, sondern weiterhin ihre eigenen machtpolitischen und wirtschaftlichen Ziele weiterverfolgen, ist offenkundig.
Die UN-Militäreinsätze werden zunehmend zum großen Geschäft der Rüstungskonzerne. Dabei geht es um Rüstungsexporte, und das in bisher zum Teil unerschlossene Märkte (Türöffner-Funktion). Der Umfang der Beschaffungen für Friedenseinsätze unter UN-Kommando ist beständig angestiegen: 2006: 9,4 Mrd. US-Dollar; 2009:13,8 Mrd. US-Dollar. Diesen Kuchen der direkten Rüstungsausgaben sowie der Aufwände für Trainingsmaßnahmen teilen sich zu 81% Rüstungsunternehmen aus Europa und Nordamerika.
3 - UN-Mandat legitimiert keine Kriege
Diese Darstellung der Militarisierung der Vereinten Nationen soll keineswegs die Rolle und die Verdienste der UN mit ihren derzeit 192 Mitgliedsstaaten bei der Deeskalation von kriegerischen Auseinandersetzungen, bei der humanitären Betreuung von Kriegsflüchtlingen und Hungernden und bei der Verbesserung der medizinischen Versorgung der Ärmsten der Welt schmälern.

Aber: Ein UN-Mandat dient zunehmend dazu, Militäreinsätze zu legitimieren. Offenkundiges Ziel dieser Militäreinsätze ist: Sicherung der Handelswege und des Zugangs zu Rohstoffen, Beseitigung aller Regimes, die sich den Weisungen der NATO oder EU entziehen sowie das Fernhalten von Flüchtlingen.

Die Alternative zur Militarisierung der UN-Friedensbemühungen liegt in Friedensmissionen im ursprünglichen Sinne der UN-Charta und in der Beseitigung der Kriegsursachen. Der Zusammenhangs von Ausbeutung, wirtschaftlicher Benachteiligung, Hunger und Perspektivlosigkeit auf der einen und kriegerischen Auseinandersetzungen auf der anderen Seite ist offenkundig.

Die Millenniums-Entwicklungsziele der UN werden aufgrund zu geringer zur Verfügung gestellter Mittel bis 2015 deutlich verfehlt. Die finanziellen Mittel sind international reichlich vorhanden, aber sie fließen zunehmend in Aufrüstung und den Aufbau von staatlichen Gewaltapparaten.

Wolfgang Erdmann

11.5.2012

Quellen:

  • Thomas Mickan, Die UN und der neue Militarismus, Informationsstelle Militarisierung, Oktober 2011
  • IMI-Analyse 2011/032 vom 8.8.2011: Die „Responsibility to Protect – Kriegslegitimation unter Missbrauch der Menschenrechte?“
  • Erhard Cromme (Hrsg.), Die UNO und das Völkerrecht in den internationalen Beziehungen der Gegenwart, 10/2011(Paper der Rosa-Luxemburg-Stiftung)