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IG Metall Region Hamburg-Forum - Europakrise_2012_01

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Wir brauchen Europa!

Eine radikal andere Wirtschaftspolitik ist notwendig
Von Heinz-J. Bontrup

Der ökonomische Befund ist klar. Die schwerste Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren und in Folge die „Eurokrise“ wurden originär durch eine zuvor noch nie da gewesene weltweit umgesetzte neoliberale Umverteilung von Einkommen und Vermögen zu den eh schon Reichen verursacht. Überall verfielen die Lohnquoten und stiegen die Profitquoten.

Die dadurch immer mehr ausfallende Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern, verbunden mit hoher Arbeits-losigkeit und einem Anstieg der Armutszahlen, musste zur Aufrechterhaltung des Systems durch Staatsnachfrage und Sozialleistungen sowie durch Privatkredite kompensiert werden. Gerne gaben die Reichen ihr Vermögen, für das sie auch noch immer weniger Steuern zahlten, den zuvor ausge-beuteten ArbeitnehmerInnen und den Staaten als verzinsten Kredit zurück. So stiegen parallel das hochkonzentrierte Vermögen und die Schulden nicht nur in den öffentlichen Haushalten unaufhaltsam an. Dringend ist hier auch eine Diskussion über eine enorm hohe Verschuldung privater Haushalte zu führen.

Kapitalmärkte wurden dereguliert

Damit die Vermögenden sich möglichst weltweit ungehin­dert ihre Schuldner suchen konnten, wurden von der Politik die Kapitalmärkte dereguliert und von den Managern über Kredithebel („Leverage-Effekte“) in einem Shareholder-value-Wahn die Verschuldungsgrade in der Wirtschaft auf die Spitze getrieben. Schließlich musste noch der „Dritt­klassige“ Schuldner über „Subprime-Kredite“, insbesondere in den USA, her, sonst wäre schon viel früher das System kollabiert.

Sicher haben auch gierige „Bankster“ und Fondsmanager, nicht zuletzt von Pensionsfonds, die Krise mit ihren Spekulationen über Derivate mit Leerverkäufen sowie unverschämte Einkommensansprüche zusätzlich befeuert. Es ist aber ökonomisch völlig borniert die Krise zu personalisieren. Sie ist eine kapitalistische Umverteilungskrise! Dem neoliberalen Dogma geschuldet.

Hinzu kamen auf EU-Ebene massive Fehlkonstruktionen bei der Einführung des Euros. Besonders verwerflich war die fehlende Rücksicht auf die realwirtschaftlichen Diver-genzen zwischen den Mitgliedsländern. Der Glaube, es käme durch Wettbewerb zu einer Konvergenz war ausgesprochen naiv. Außerdem beschränkte Politik mit einer „Europäischen Schuldenbremse“ für das Euroland die Finanzpolitik und die Geldpolitik wurde zu allem Überfluss mit ihrer einseitigen Festlegung auf Preisstabilität ebenso fehlkonstruiert. Darüber hinaus kann die Geldpolitik bei stark unterschiedlichen Realökonomien und der Festlegung eines Zinssatzes nur asymmetrische Wirkungen in den einzelnen Ländern entfalten.
Die nachwievor herrschende neoliberale Politik akzeptiert aber weder als Krisenursache die Umverteilung noch die EU-inhärenten Fehlkonstruktionen, sondern fühlt sich weiter ausschließlich dem Kapital und den Geldmächtigen verpflichtet. Deshalb mystifiziert Politik, Arm in Arm mit den Plutokraten, die Krise als „Verschuldungskrise“ und hat die Krisenlasten den öffentlichen Haushalten zugeschoben.

Die Reichen wollen für die Krise nicht bezahlen. Lieber lassen sie ihr System am völlig ungleich verteilten Reichtum auf der einen Seite und den Schulden und der dahinter stehenden öffentlichen und privaten Armut auf der anderen Seite ersticken und Europa vor die Wand fahren. Dies wird ohne einen radikalen Wechsel in der Wirtschaftspolitik so kommen. Denn die Vermögenden finden keine ausreichenden (solventen) Schuldner mehr.

Ganzen Staaten sprechen kapitalinteressenorientierte private Ratingagenturen – vor dem Hintergrund teilweise intransparenter Bewertungsmethoden – jede Kreditwürdigkeit ab und versehen Länder bzw. deren Anleihen mit einem „Ramschstatus“, um sie nach Einführung kollektiver staatlicher „Rettungsschirme“ oder auch Eurobonds wieder für Kreditfähig zu erklären und den Vermögenden dadurch noch mehr Profit zu bescheren.


Gleichzeitig verlangen die Geld­mächtigen zur „Gesundung“ der not­leidenden Staaten drastische Austeritäts­programme die jegliche wirtschaftliche Entwicklung abtöten und einen ökono­mischen Niedergang herbeiführen. Und zu allem Überfluss legen ökonomisch ahnungslose und völlig überforderte Politiker die nationalen Staatshaushalte noch mit „Schuldenbremsen“ an die Kette.
Damit gefährdet die Politik insgesamt nicht nur die Demokratie, sondern engt außerdem die Anlagemöglichkeiten für das weiter reichlich vorhandene überschüssige Geld der Vermögenden noch mehr ein. Wo sollen sie mit ihrem überschüssigen Geld hin, wenn die Staaten es nicht mehr als Kredit nachfragen wollen und die Politik sich auch nicht traut einen drastischen Vermögensschnitt, einen „Hair-cut“, vorzunehmen? Das Ergebnis wird eine massive Krisenverschärfung sein. Der von der Politik bisher vorgelegte Therapieversuch taucht nicht.

Es gibt Handlungsalternativen!

Was müsste dagegen passieren? Kurzfristig ist ein radikaler Vermögensschnitt durch eine politisch weltweit konzertierte Aktion notwendig. Wann setzt die Politik endlich ihr demokratisch legitimiertes Gewaltmonopol ein? Wann kapiert Politik endlich, dass die Summe allen Vermögens immer gleich groß der Summe aller Schulden ist? Nicht nur die Griechen sind überschuldet. Die USA sind das viel größere Problem.

Technisch müsste es so laufen, dass die Notenbanken die nicht mehr refinanzierbaren Staatsanleihen der einzelnen Länder aufkaufen und sich danach mit den vermögenden Gläubigern zur Abwertung ihres Vermögens ins Benehmen setzen. Für neue Staatskredite sollte die Europäische Zentralbank, abgestimmt mit der Politik, zukünftig direkt Kredite zu günstigen Zinsen – ohne das Zwischenschalten von profitorientierten Geschäftsbanken – gewähren, um so die Staatsfinanzen der Spekulation von Privaten zu entziehen.

Außerdem muss eine in Europa abgestimmte Finanz- und Geldpolitik für ein sozial-ökologisches Wachstum und Beschäftigung sorgen und die EU einen wesentlich größeren eigenen Haushalt bekommen. Insbesondere der Süden und Osten Europas braucht dabei ein von der EU gefördertes Aufbauprogramm für seine Realwirtschaft. Weiter ist innerhalb der Finanzpolitik die Steuerpolitik zu harmonisieren und hohe Gewinne, Einkommen und das Vermögen sind kräftig – europäisch abgestimmt – zu besteuern und endlich sind Steuer- und Wirtschaftskriminalität sowie die gefährliche Marktmacht von Konzernen mit dem Strafgesetzbuch und nicht wie heute mit Bußgeldern zu bekämpfen und zu beseitigen.

Die Lohnpolitik inkl. der Arbeits­zeit­politik ist länderbezogen strickt an der jeweiligen Produktivitäts- und Infla­tions­rate auszurichten und die Arbeitnehmer­Innen sind vor ausbeutenden Unter­nehmern an den Arbeitsmärkten zu schützen – auch vor öffentlichen Arbeitgebern. Dringend notwendig zur Beseitigung der „Geißel“ Massenarbeits­losigkeit in Europa ist eine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel einer 30-Stunden-Woche. „Kurze Vollzeit für alle“ muss das Credo lauten. Dadurch wird insgesamt die verhängnisvolle Umverteilung zur Profitquote, die originäre Krisenursache, beseitig.
Weiter sind die Kapitalmärkte wieder staatlich streng zu regulieren, Ratingagenturen bezogen auf Bewertungen ganzer Staaten sind zu verbieten. Ebenso auf Leerverkäufe basierende Derivate. Und der Bankensektor ist auf seine Kernfunktionen (Organisation des Zahlungsverkehrs, Einlagengeschäft zur sicheren Ersparnisbildung und der Finanzierung privater und öffentlicher Realinvestitionen) zu beschränken.

Und last but not least braucht die EU eine durchgreifende Demokratisierung der Wirtschaft. Dem Kapital ist die heute gegebene einseitige und entscheidende Verfügungsgewalt über die Gewinnverwendung und das Investitionsmonopol durch eine paritätische Mitbestimmung der Beschäftigten zu nehmen. Dies fordert selbst in conclusio die neoklassische Produktionsfunktion und ist bereits nachzulesen bei den Nestoren der Betriebswirtschaftslehre Anfang des 20. Jahrhunderts.


Dr. rer pol. Heinz-J. Bontrup, Dipl.-Ökonom, Dipl.-Betriebswirt ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik