Bundesweit machen die Gewerkschaften mobil, wollen nicht nur punktuell fordern, sondern eine andere Politik, eine die mit dem Umverteilen von unten nach oben Schluss macht. Schweinfurt war beim Auftakt dabei. Am Mittwochmorgen zogen 3200 Industriearbeiter- und -angestellte zum Schillerplatz. Die Kundgebung war auch ein Test für die Großdemonstration der Gewerkschaften in Bayern am Samstag, 13.November, in Nürnberg.
Ein Kurswechsel, der raus aus der sozialen Schieflage führt, forderte schon in der Begrüßung Jens Öser, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt. Er erinnerte an den Höhepunkt der Finanzkrise vor zwei Jahren. Damals seien sich alle über die Notwendigkeit einer Systemänderung einig gewesen. Dies hätten Politik und Arbeitgeber längst wieder vergessen, würden weiterhin für eine reiche Minderheit und gegen die Mehrheit handeln.
Für die Gewerkschaftsjugend sprachen Eva Wohlfahrt und Martin Plannerer, die es unbegreiflich nannten, dass etliche Kollegen nicht mitmarschiert seien, zu tun würden, als ob sich in der Republik nichts tue, es nicht auch um ihre Zukunft gehe, die nur der gestalte könne, der sich rühre. Steuergeschenke für wenige, das Schröpfen der Masse wurde angeprangert. Auf der Strecke bleibe die Jugend, die sich das nicht gefallen lassen dürfe.
Peter Kippes, Erster Bevollmächtigter der IG Metall, bestätigte den Schweinfurtern ein Gefühl für Ungerechtigkeiten und den richtigen Zeitpunkt. Vor einem Jahr habe er noch gedacht, schlimmer könne die Politik nicht mehr werden, doch sie sei mit Seehofer und Westerwelle noch weiter verkommen. Der Wille des Volkes werde nicht akzeptiert, er werde verhütet. Deshalb müssten und würden die Gewerkschaften sich künftig verstärkt in die Politik einmischen.
Aus der Region sprach Kippes mehrere Betriebe an, in denen die Mitarbeiter um Arbeit und um ihre Arbeitsbedingungen fürchten müssten. Bei Bosch-Rexroth seien betriebsbedingte Kündigungen zwar vorerst verhindert worden, das Unternehmen wolle jedoch nach wie vor 550 Stellen abbauen. Warum, das sage man nicht, was eine Unverschämtheit sei. Im Unklaren seien die Arbeitnehmer auch bei ZF Sachs, wo man sich über die Folgen der anvisierten Umstrukturierung ausschweige. Etwas Ruhe sei bei Schaeffler eingekehrt. Dort gelte es, gegen die Leiharbeit zu kämpfen, die sich im Konzern ausbreite. Kippes: In Schweinfurt werden wir keine Leiharbeit dulden. Wir wollen keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Auch müssten sich die besser laufenden Geschäfte jetzt im Geldbeutel der Mitarbeiter bemerkbar machen. Bei SKF sei nach den vielen Investitionen durch das Unternehmen am Standort jetzt die Sicherheit der Arbeitsplätze im Fokus der IG Metall.
Nicht illegal, aber scheißegal
Erstmals in Schweinfurt sprach der neue IG Metall Bezirksleiter Jürgen Wechsler, Nachfolger des Schweinfurters Werner Neugebauer. Arbeitnehmer, die gegen die Politik auf die Straße gingen, seien keine Wildgewordenen, sondern Demokraten. Die Arbeit hierfür niederzulegen sei nicht illegal. Das würden zwar die Arbeitgeber behaupten, doch das könne den Mitarbeitern scheißegal sein. Wechsler: Es kann nicht sein, dass die, die die Krise verursacht haben, jetzt die alleinigen Gewinner sind, und die Geschädigten die Zeche bezahlen. Der IGM-Chef in Bayern forderte die Einführung der Vermögenssteuer, eine Gewinnhalbierung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Zeiten des Aufschwungs und das für ein besser laufendes Geschäft in schlechten Zeiten versprochene Vorziehen der Tariferhöhung um zwei Monate. An dem Facharbeitermangel seien die Unternehmen schuld. Eine Rente mit 67 brauche man nicht, sondern eine Rente ohne Abschläge nach 40 Arbeitsjahren. Die Leiharbeit betitelte Wechsler mit moderne Form des Menschenhandels. Wer den Sozialstaat aushöhle, der ist für ihn ein Verfassungsfeind, auf den der Verfassungsschutz angesetzt werden müsse.
Machen wie in Frankreich
DGB Regionsvorsitzender Frank Firsching ließ an den Parteien, die in den letzten 15 Jahren in der Regierungsverantwortung waren, kein gutes Haar. Sinkende Renten, sinkende Löhne, immer mehr Reiche und immer mehr Armut, das hätten sie mit ihrer Arbeitgeberpolitik fabriziert. Damit müsse jetzt Schluss sein. Die Gewerkschaften würden sich künftig stärker in die Politik einmischen, notfalls das öffentliche Leben lahmlegen. Es werde ein französischer Wind wehen wie heute in Schweinfurt. Die Botschaften der Gewerkschaften fasste Firsching zusammen: Wir wollen gute Arbeit. Wir wollen sichere soziale Verhältnisse, solidarisch finanziert. Wir wollen demokratische Teilhabe durch mehr Arbeitnehmerrechte.
Quelle: MainPost 27. Oktober 2010